„Wo
ist Ernst Walk?“, nervös schaut Petra Jakobi auf
die Uhr. „Wo bleibt der nur?“ 40 Teilnehmer der
Stadt- führung haben sich an der Kloster- kirche versammelt.
Die beliebte Tour durch Cham, wie man es sonst nicht zu sehen
kriegt ist wieder ausver- kauft. Hauptakteur und Deutschlehrer
Ernst Walk, der wieder ausgewählte Literatur vortragen
soll, bleibt jedoch aus. „Da wird doch nix passiert
sein?“
so
a Gauner
apropos
Affe
Wunschpunsch
rätselt die Veranstaltungsleiterin und meldet den vermissten
Oberstudien- rat an der Pforte der Chamer Polizei- wache.
Sven Buhl, Polizei- Obermeis- ter, kann der besorgten Kulturreferen-
tin weiterhelfen, denn einen Ernst Walk habe man vor kurzem
aufge- griffen. „Der sitzt.“. Schon werden die
„Literatour“ Freunde in die Eingeweide der Chamer
Verbrechensbekämpfung geschleust. Im Untergeschoß
führt der Weg vorbei an vergitterten Aus- nüchterungszellen.
Beklemmende Ruhe, die abrupt endet, als der Po- lizei-Obermeister
mit dem Schlag- stock über die Gitterstäbe fährt.
Das schreckt den einsamen Insassen auf, der in der Zelle schläft.
Der Vermis-
ste, unrasiert und in dubioser Auf- machung wird mit Handschellen
der wartenden Gruppe vorgeführt und darf sich jetzt Hafterleichterungen
erlesen.
Ein
Text von Ben Witter: „Knast - Nachrichten aus der Unterwelt„
ver- mag Ernst Walk sehr authentisch zu interpretieren. Denn
ein Schauspiel ist das natürlich, dass den Teilneh- mern
der Literatour-Führung an die- sem außergewöhnlichem
Ort geboten wird. „Bis auf eine Schulkasse, die uns
vor einiger Zeit besuchte und natürlich den Kollegen
in der Wache, bekommen unbescholtene Bürger die Ausnüchterungszellen
sonst nicht zu sehen.“ ,so der Polizei-Obermeister.
„So
a Gauner hat a Leben“ Wieder passend zu den Räumlichkeiten
und den Lesebeiträgen besingt das Musi- kerduo Lisa Burkert
und Andreas Ernst den Lebenswandel eines Hallo- dri`s. Als
die Sängerin ein Spring- messer aufblitzen lässt,
schreckt auch der wachsame Polizeiobermeis- ter auf. Doch
alle können aufatmen, das Stilleto ist nur eine Requisite
aus Plastik. Nicht aus Plastik und offen- sichtlich sehr schmackhaft
sind Gur- kenscheiben, die der Oberstudienrat Walk in seiner
nächsten Rolle im Ge- sicht trägt. Auf einer weissen
Quark- schicht pappend zieht er das knack- ige Gemüse
von der Backe ab, um es
zu verspeisen. Sonderlich maskulin lässt ihn diese Aufmachung
nicht er- scheinen. Was für ein Kontrast. Vom derben
Knacki im Keller der Polizei, zum Schönheitsapostel mit
Gesichts- maske in der Wellness Oase „Beauty and more“.
Walk trägt Bademantel. Durch die warme und mit angeneh-
men Düften erfüllte Atmosphäre hat auch das
Publikum abgelegt. Ja hier fühlt man sich bedeutend wohler.
„Gib
einem Mann eine Mutprobe und schau wie er sich zum Affen macht.“,
fasst Ernst Walk seine Gedanken zu- sammen, als er von seiner
Ganzkör- perenthaarung berichtet. Beim Ange- bot „Brasilien
Man“ muss der Well- ness-Neuling nachfragen. Die Antwort
der polnischen Haarentfernungsfach- kraft liefert Walk zur
Freude des Pu- blikums akzentsicher gleich selbst. „Mit
Pofalte!“ Entsetzen macht sich bei den Männern
im Raum breit. Wahrlich eine Mutprobe, aber wer schön
sein will muss leiden. Auch im Bademantel, tritt Lisa Burkert
zwisch- en den Lesungen auf und besingt un- ter anderem ihre
Haarpracht.
Schon
der Zugang zum finalen Veran- staltungsort in der Probsteistrasse
ist ein Abenteuer. „Kopf einziehen und Vorsicht bei
den Stufen.!“ ,Petra Ja- kobi steht wie ein „Survivalguide“
mit einer Taschenlampe an der spärlich
beleuchteten
Treppe und schleust die Gruppe einzeln in den Chamer Unter-
grund. Ein Gewölbekeller tut sich auf. Frisch ist es
hier, ideal zum einlagern der Gemüseernte. Keiner mag
Jacke oder Mantel ablegen, und doch soll die hübsche
Sängerin sich entblöß- en. „Komm, zieh
dich aus, denn ich möchte dich nackt sehen.“ Der
Georg Danzer-Klassiker von Andreas Ernst mit Gitarre vorgetragen
zeigt Wirk- ung. Lisa Burkert beginnt sich zu ent- blättern.
Die Stimmung steigt, trotz des morbiden Charme´s der
Kulisse. Das aber leider nur auf ein jugendfrei- es Maß,
denn das Teilnehmen an diesen außergewöhnlichen
Stadtführ- ungen ist natürlich ohne Altersbe- schränkung
möglich. Der
Keller von Roswitha und Ernst Dworzak wird die Endstation
der Literatour und eignete sich ganz besonders für Gutenacht-
geschichten. Nach 2 Stunden bester Unterhaltung, an ungewöhnlichen
Or- ten war den Akteuren großer Beifall sicher.