von Benjamin Franz-
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Handschellen und Gurkenmaske

„Wo ist Ernst Walk?“, nervös schaut Petra Jakobi auf die Uhr. „Wo bleibt der nur?“ 40 Teilnehmer der Stadt- führung haben sich an der Kloster- kirche versammelt. Die beliebte Tour durch Cham, wie man es sonst nicht zu sehen kriegt ist wieder ausver- kauft. Hauptakteur und Deutschlehrer Ernst Walk, der wieder ausgewählte Literatur vortragen soll, bleibt jedoch aus. „Da wird doch nix passiert sein?“

 
so a Gauner
apropos Affe
Wunschpunsch
     
rätselt die Veranstaltungsleiterin und meldet den vermissten Oberstudien- rat an der Pforte der Chamer Polizei- wache. Sven Buhl, Polizei- Obermeis- ter, kann der besorgten Kulturreferen- tin weiterhelfen, denn einen Ernst Walk habe man vor kurzem aufge- griffen. „Der sitzt.“. Schon werden die „Literatour“ Freunde in die Eingeweide der Chamer Verbrechensbekämpfung geschleust. Im Untergeschoß führt der Weg vorbei an vergitterten Aus- nüchterungszellen. Beklemmende Ruhe, die abrupt endet, als der Po- lizei-Obermeister mit dem Schlag- stock über die Gitterstäbe fährt. Das schreckt den einsamen Insassen auf, der in der Zelle schläft. Der Vermis-
 
     
ste, unrasiert und in dubioser Auf- machung wird mit Handschellen der wartenden Gruppe vorgeführt und darf sich jetzt Hafterleichterungen erlesen.

Ein Text von Ben Witter: „Knast - Nachrichten aus der Unterwelt„ ver- mag Ernst Walk sehr authentisch zu interpretieren. Denn ein Schauspiel ist das natürlich, dass den Teilneh- mern der Literatour-Führung an die- sem außergewöhnlichem Ort geboten wird. „Bis auf eine Schulkasse, die uns vor einiger Zeit besuchte und natürlich den Kollegen in der Wache, bekommen unbescholtene Bürger die Ausnüchterungszellen sonst nicht zu sehen.“ ,so der Polizei-Obermeister.

„So a Gauner hat a Leben“ Wieder passend zu den Räumlichkeiten und den Lesebeiträgen besingt das Musi- kerduo Lisa Burkert und Andreas Ernst den Lebenswandel eines Hallo- dri`s. Als die Sängerin ein Spring- messer aufblitzen lässt, schreckt auch der wachsame Polizeiobermeis- ter auf. Doch alle können aufatmen, das Stilleto ist nur eine Requisite aus Plastik. Nicht aus Plastik und offen- sichtlich sehr schmackhaft sind Gur- kenscheiben, die der Oberstudienrat Walk in seiner nächsten Rolle im Ge- sicht trägt. Auf einer weissen Quark- schicht pappend zieht er das knack- ige Gemüse von der Backe ab, um es

 
zu verspeisen. Sonderlich maskulin lässt ihn diese Aufmachung nicht er- scheinen. Was für ein Kontrast. Vom derben Knacki im Keller der Polizei, zum Schönheitsapostel mit Gesichts- maske in der Wellness Oase „Beauty and more“. Walk trägt Bademantel. Durch die warme und mit angeneh- men Düften erfüllte Atmosphäre hat auch das Publikum abgelegt. Ja hier fühlt man sich bedeutend wohler.

„Gib einem Mann eine Mutprobe und schau wie er sich zum Affen macht.“, fasst Ernst Walk seine Gedanken zu- sammen, als er von seiner Ganzkör- perenthaarung berichtet. Beim Ange- bot „Brasilien Man“ muss der Well- ness-Neuling nachfragen. Die Antwort der polnischen Haarentfernungsfach- kraft liefert Walk zur Freude des Pu- blikums akzentsicher gleich selbst. „Mit Pofalte!“ Entsetzen macht sich bei den Männern im Raum breit. Wahrlich eine Mutprobe, aber wer schön sein will muss leiden. Auch im Bademantel, tritt Lisa Burkert zwisch- en den Lesungen auf und besingt un- ter anderem ihre Haarpracht.

Schon der Zugang zum finalen Veran- staltungsort in der Probsteistrasse ist ein Abenteuer. „Kopf einziehen und Vorsicht bei den Stufen.!“ ,Petra Ja- kobi steht wie ein „Survivalguide“ mit einer Taschenlampe an der spärlich

 
 
beleuchteten Treppe und schleust die Gruppe einzeln in den Chamer Unter- grund. Ein Gewölbekeller tut sich auf. Frisch ist es hier, ideal zum einlagern der Gemüseernte. Keiner mag Jacke oder Mantel ablegen, und doch soll die hübsche Sängerin sich entblöß- en. „Komm, zieh dich aus, denn ich möchte dich nackt sehen.“ Der Georg Danzer-Klassiker von Andreas Ernst mit Gitarre vorgetragen zeigt Wirk- ung. Lisa Burkert beginnt sich zu ent- blättern. Die Stimmung steigt, trotz des morbiden Charme´s der Kulisse. Das aber leider nur auf ein jugendfrei- es Maß, denn das Teilnehmen an diesen außergewöhnlichen Stadtführ- ungen ist natürlich ohne Altersbe- schränkung möglich. Der Keller von Roswitha und Ernst Dworzak wird die Endstation der Literatour und eignete sich ganz besonders für Gutenacht- geschichten. Nach 2 Stunden bester Unterhaltung, an ungewöhnlichen Or- ten war den Akteuren großer Beifall sicher.