von Benjamin Franz-
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Bader, Pest und andere Plagen

Cham, 18. Jahrhundert. Die Zange im Maul des Unglücklichen, kniet der „Bader“ auf seinem jammernden Kun- den. Fast besinnungslos vor Zahnweh ist der arme Kerl, nach einer nächt- lichen Odyssee durch das Chamer Gesundheitswesen, schließlich in der Baderstube gelandet. Das schwere Werkzeug im Mund hat sein kläg- liches Stöhnen nicht ersticken kön- nen, sonder reichlich befeuert. Bis auf eine Dosis Schnaps ist Anästhesie

 

Petra Jakobi

J. Aschenbrenner
Brunnerin & Dr.
         
noch unbekannt. OP - Licht, sterile Handschuhe, Mundschutz, oder gar eine hübsche Assistentin fehlen na- türlich auch. „Des hamma glei.“ ,ver- spricht der Bader „Ah, ahh, ahhh!“ kommentiert sein gepeinigter Pat- ient, der in Erwartung, der schmerz- haften Tortur seine Augen zukneift. Die Zange fest im Griff, packt der Uni- versalheiler die Schulter seines Kun- den und reist mit der Rechten den faulen Zahn aus der übel riechenden Mundhöhle.

Mit diesem eindrucksvollen Finale am Cordonhaus, endet die aktuelle Stadt- führung „Bader, Pest und andere Pla- gen“. Johanna Aschenbrenner tischt wieder interessante, unterhaltsame aber auch tragische Begebenheiten aus der Chamer Geschichte auf und wird dabei von neun Schauspielern unterstützt. Dieses Mal auch mit im Boot Stadtarchivar Timo Bullemer. Während der Planung des neuen Stücks hat er Verwertbares um das Chamer Gesundheitswesen des 18 Jahrhunderts ausgegraben und sich schließlich eine authentische Rolle im neuen Stück auf den Leib schrei- ben lassen. Schauspieltalent auch bei der Kulturreferentin Petra Jakobi, die gleich zu Begin der Führung das Publikum warnt: „Die Stadt Cham hat zwar eine Veranstalterhaftung, aber die gilt natürlich nicht für Schäden aus dem 18. Jahrhundert. Also Finger weg von allem, was geschäftstüchtige Quacksalber feilbietet.“ Und prompt, als Johanna Aschenbrenner von heil- kundigen Frauen jener Zeit berichtet, tauchen zwei Kräuterfrauen auf und bieten Gesichtssalben und Liebes- zauber an. Ob der Warnung ist man zurückhaltend. Auch gut gemeinte Ratschläge der feschen Damen, ge- gen Zahnbeschwerden, hat ein Be-

 
 
troffener dankend abgelehnt. „Im Cha- mer Armenhaus, wurden zu Pestzeit- en Verdachtsfälle weggesperrt und von Freiwilligen versorgt. Nach der letzten Pestwelle 1713 bot das Ar- menhaus ein Bild des Schreckens, alle „Bewohner“ waren tot, man hat das Krankenlager einfach vergessen.“ Dramatisch schildert Johanna Asch- enbrenner die Geschehnisse jener Tage, bevor die Stadtführung den Schauplatz, das heutige Museum Spur, besichtigt.

Die „Brunnerin“, heilkundige Kräuter- frau, noch immer sehr ergriffen vom grausigen Fund bittet die Besucher herein. Sie ist nicht allein, eine gro- ße, schwarze Gestalt mit weißer Schnabelmaske schreitet, Weihrauch schwenkend, durch die Zimmer. Es ist Stadtarzt Dr. Erhard alias Timo Bullemer. Ein Essigschwamm im Schnabel seiner Maske soll Pestge- stank abhalten und ihn vor Ansteck- ung schützen. Antibiotika wird erst zweihundert Jahre später entdeckt.

Auch der Stadtarzt hat kein wirksam- es Rezept gegen die Zahnschmerzen und schickt den Hilfesuchenden wei- ter. Die Gruppe macht sich auf zum nächsten Schauplatz, wird aber am Biertor von der Stadtwache gestoppt. Ein Passierschein von Dr. Erhard, den Johanna Aschenbrenner vorweis- en kann bestätigt, dass keiner der Zeitreisenden von der Pest befallen ist. Die Wache macht den Weg frei. Das spärliche Kerzenlicht vermag die klamme Gruft kaum zu erhellen. Eine Gestalt, tief im Kapuzengewand ver- borgen schreckt aus dem Gebet auf, als sich die neuzeitlichen Besucher bedächtig nähern. Es ist Pater „Feli- zianus“ alias Alois Gammer, der sich hier, unter der Gerhardinger Real-

 
schule, in das stille, morbide Grab- gewölbe zurückgezogen hat. Eine Apparatur, die verdächtig an Alche- mie erinnert steht hier auch aufge- baut. Abgefüllt in dünne Gläser, braut der Pater ein wunderliches Lebens- elixier. Im Selbstversuch hat er so manchen Trank auf seine heilende Wirkung geprüft. Der Zahnkranke er- fährt jedoch keine Linderung, nach- dem er vom Gebräu kostet. Etwas benommen will er mit den Anderen nun zur Stadtapotheke.

Die Apothekerin (Sabine Helbig) ist überrascht, denn so viele Kundschaft zur abendlichen Stund scheint ein Glücksfall zu sein. Das Interesse an Pillen, Salben und Tinkturen ist aber äußerst verhalten, weshalb sie den Besuchern droht, die Ladenpforte erst wieder zu öffnen nachdem die Apo- thekenkasse klingelt. Ein Mittel ge- gen die bohrenden Zahnschmerzen findet sich auch hier nicht, weshalb Johanna Aschenbrenner letztlich den gesamten Tross zum „Bader“ führt.

Der schließlich kann den armen Kerl von seinen Schmerzen erlösen und bot, dem staunenden Publikum noch so manch andere Dienstleistung an. Hautnah, amüsant und authentisch, mit Spielwitz und interessanten Ge- schichten zur Chamer Geschichte. Die lange Vorbereitung hat sich ge- lohnt. Das Publikum honoriert den Aufwand, ist froh um die medizin- ischen Errungenschaften unserer Tage und das Glück, Karten für die begehrte Zeitreise ergattert zu haben.